Die gute Herstellungspraxis

 

2013 hat der Bonner Philosophieprofessor Gabriel eine Abhandlung mit dem Titel „Warum ist die Welt nicht gibt“ veröffentlicht. Da der Titel zumindest ungewöhnlich ist, war es reizvoll, sich mit dieser Arbeit näher zu befassen. Nachfolgend das Ergebnis:

 

1. Ist der Titel seriös begründet oder Marketing ?

 

Wie ich schon vermutet habe, ist der Titel „Warum ist die Welt nicht gibt“ nicht mehr als eine reißerische Aufmachung (um nicht zu sagen Schaumschlägerei). Der Titel ist typisch für Philosophen, die unter dem Deckmantel verständlich sein zu müssen ihre Veröffentlichungen populär anfetten. Dass sie damit Geld machen und Ansehen gewinnen wollen, liegt auf der Hand.

 

Immerhin gelingt es manchen dieser (überwiegend emeritierten) Philosophen (und auch manchen emeritierten Neurologen), den Titel einigermaßen verständlich zu begründen. Das ist nach meiner Ansicht Gabriel nicht gelungen. Dazu im einzelnen:

 

Die erste Erklärung für den Titel „Warum es die Welt nicht gibt“ befindet sich auf Seite 19; sie lautet: Es gibt beim Restaurantbesuch also viele Gegenstandsbereiche, gleichsam kleine isolierte Welten, die nebeneinander existieren, ohne dass sie wirklich zueinander finden Es gibt also viele kleine Welten, aber nicht die eine Welt, zu der sie alle gehören. Das ist nun ziemlich schräge Begriffsspielerei, es wird dem Wort Welt eine spezielle Bedeutung gegeben, nämlich dass der Begriff ein Zueinanderfinden aller seiner kleinen Welten voraussetzt; das ist eine sprachliche Unterstellung und keine zwingende Schlussfolgerung.

 

S. 96 ff erläutert Gabriel dann im Einzelnen, warum es die Welt nicht gibt. Sein zentraler Begriff ist dabei das Sinnfeld bzw. die Erscheinung in einem Sinnfeld (hier mit Existenz gleichgesetzt). Er sagt, dass die Welt das Sinnfeld aller Sinnfelder sei, das Sinnfeld, in dem alle anderen Sinnfelder erscheinen (S. 97). Da nun

 

– das Sinnfeld der Welt alle kleineren Sinnfelder umfasst,

– die kleineren Welten aber als Teil der Welt doppelt erscheinen würden, nämlich in ihrem eigenen Sinnfeld   und in dem umfassenden Sinnfeld der Welt

– aber neben dem Sinnfeld, in dem die Welt erscheint, weitere Sinnfelder (in denen die kleineren Welten erscheinen) nicht möglich sind, weil neben der in ihrem Sinnfeld erscheinenden Welt nichts existiert

 

könne es die Welt als Erscheinung in einem Sinnfeld nicht geben. Eine solche Begriffsspielerei könnte sich ein Jurist heute nicht mehr erlauben. Immerhin ist Gabriel so ehrlich, diese Argumentationslehre als formal zu bezeichnen. Überzeugend ist sie aber keineswegs

 

Etwas näher an einer sachlichen Argumentation liegt Gabriel mit seiner – mehrfach wiederholten – Behauptung (z.B. S. 164), dass wir nicht von außen auf die Welt blicken. Das ist natürlich richtig, übergeht aber, dass wir in der Lage sind, uns in der Vorstellung außerhalb der Welt zu setzen. Mithin gibt es die Welt zumindest in unserer Vorstellung und nach dem Sprachgebrauch von Gabriel existiert sie auch, weil alles, was existiert, existiert irgendwo – und sei es nur in unserer Einbildung (S. 23). Ob unsere Vorstellung richtig ist, weil wir doch Teil der Welt sind, ist eine andere Frage. Auch hier vermischt Gabriel meines Erachtens naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit gedanklich entwickelten Vorstellungen.

 

Das führt zu der Frage, was Gabriel mit dem Wort gibt meint. Versteht man darunter nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, dass der Gegenstand, wenn es ihn gibt, in der realen Wirklichkeit vorhanden sein muss, dann fällt der Titel schlicht in sich zusammen. Dann gibt es nämlich die Welt auch ohne Sinnzusammenhang in der Erscheinung.

 

Und schließlich: Wie rechtfertigt eigentlich Gabriel, seinen Weltbegriff als den philosophisch zutreffenden Begriff vorzustellen (S. 63 ff), obgleich dieser Begriff in seinem Hirn gebildet wurde und deshalb nicht besser noch schlechter sein kann als ein völlig anderer Weltbegriff, der in einem anderen Hirn geboren wurde ?

 

 

2. Anmerkungen zu verschiedenen Ausführungen in der Arbeit

 

Seite 12

 

Gabriel behauptet, genau die These, dass die Welt nur aus irgendwelchen Teilchen besteht, die sich in einer mittleren Größenordnung zusammenfinden und sich gegenseitig stabilisieren, sei Metaphysik. Ich halte das für Quatsch. So wie dies formuliert ist, handelt es sich um die Beschreibung eines physikalischen Zustands, mithin nicht um Metaphysik.

 

Im gleichen Zusammenhang wendet sich Gabriel gegen Kant und dessen These des Dinges an sich. Dem halte ich entgegen, dass die Neurologie die Auffassung von Kant schlicht und einfach bestätigt hat. Wenn Kant sagt, dass wir das Ding an sich nicht erkennen können, weil das Ding an sich von unseren Vorstellungen zu unterscheiden ist, sagt er dasselbe wie die Neurologie, nämlich dass die durch die Sinne aufgenommenen Daten im Gehirn verarbeitet werden müssen, um als Vorstellungen in unserem Bewusstsein zu erscheinen.

 

Seite 13

 

Gabriel führt aus: der neue Realismus geht vielmehr davon aus, dass wir die Welt so erkennen, wie sie an sich ist. Er negiert mithin ebenso wie fast alle Nur-Philosophen die Erkenntnisse der Neurologie. Denn danach geht das Ding an sich immer durch eine neuronale Verarbeitung, bevor es im Bewusstsein erscheint.

 

Zuzustimmen ist Gabriel allerdings darin, dass sowohl die subjektiven Erscheinungen als auch das Ding an sich wirklich (Seite 14,15) sind.

 

Auf den nachfolgenden Seiten stellt Gabriel die These auf, dass Gedanken, Kunstwerke, Träume, Staaten zur Welt gehören. Soweit es sich dabei um Vorstellungen handelt, entspricht dies meiner (von Bunge/Mahlmann übernommenen) Bezeichnung Konstrukte. Soweit es sich um Gegenstände handelt, sind es Dinge, die physikalisch definiert werden können. Dies nicht zu unterscheiden und schlicht und einfach der Welt zuzuordnen, ist meines Ermessens unwissenschaftlich.

 

Seite 22

 

Dem Satz, wir können niemals das Ganze erfassen (Seite 22) ist nach meiner Auffassung zuzustimmen. Wenn wir das Ganze nicht erfassen können, das Ganze aber doch wirklich ist, dann haben wir nichts anderes, als das Ding an sich, wie es – allerdings nur teilweise – auch von Kant seiner Philosophie zu Grunde gelegt wird.

 

Seite 34,35

 

Ein Schlüssel zum Verständnis ist eventuell die Unterscheidung von Wohnzimmern und Planeten. Wohnzimmer werden eingerichtet, Planeten beobachtet. Der Unterschied besteht also im Handeln einerseits und dem Beobachten andererseits. Daraus folgert Gabriel unterschiedliche Gegenstandsbereiche. Das Universum ist Gegenstandsbereich der Physik (Seite 37); damit engt Gabriel den Begriff Gegenstand – willkürlich – ein und kann dann behaupten, dass es viele Gegenstände gibt, die es nicht im Universum gibt (Seite 41) und das ist nach meiner Überzeugung reine Sophisterei. (Und das gilt auch für die Begründung, Einbildungen gehörten nicht zum Universum; natürlich gehören sie dazu, wenn ich den Begriff Universum entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch als Bezeichnung für alles, das um uns herum, also universal vorhanden ist, verstehe).

 

Mein Lieblingsthema, nämlich die Materialität von Gedanken, wird auf Seite 42 ff behandelt. Wie fast alle Philosophen geht Gabriel davon aus, dass Einbildungen, wenn sie sich auf nicht materielle Gegenstände beziehen, nicht materiell sind. Das halte ich für falsch, allerdings ohne diese Ansicht belegen zu können. Denn bislang ist es nach meiner – unvollständigen – Kenntnis nicht gelungen, Bedeutungen von Gedanken materiell zu erfassen. Ich meine aber trotzdem, dass Gedanken materiell fassbare Figurationen bestimmter Neuronengruppen sind, dass also unser Bewusstsein mit den entsprechenden Neuronengruppen identisch ist. Für unmittelbare sinnliche Erfahrungen, zum Beispiel Schmerz oder Hören, dürfte das wohl akzeptiert werden, zumal es dafür neurologische Belege gibt. Für mich ist Bewusstsein aber nichts anderes, als die Tätigkeit spezieller Neuronengruppen.

 

Seite 45 führt Gabriel aus: der Materialismus muss die Existenz von Vorstellungen anerkennen, um sie im nächsten Schritt leugnen zu können. Dies ist ein Widerspruch. Auch dieser Satz beruht auf einer Unterstellung: Der Materialist leugnet doch nicht die Existenz von Vorstellungen, schließlich sind seine eigenen Auffassungen nichts anderes als Vorstellungen. Nach meiner Auffassung – und insoweit bin ich Materialist – sind Vorstellungen mit Materie identisch bzw. in der Formulierung von Gabriel selbst eine Konfiguration von Elementarteilchen in der Form neuronaler Zustände des Gehirns.

 

(Dazu ein Einschub: es wird wohl niemand leugnen, dass Schmerz eine bewusste Vorstellung ist. Schmerz lässt sich aber neurologisch bestimmten Neuronen zuordnen, und zwar in der Form, dass diese Neuronen aktiv sind. Mithin sind die Vorstellung Schmerz und die Aktivitäten der Neuronen identisch. Dasselbe gilt für das Sehen: wenn ich etwas sehe, habe ich eine Vorstellung und neurologisch werden die vom Auge wahrgenommenen optischen Signale schon im Auge, dann anschließend im Hirn verarbeitet, mithin sind auch insoweit neuronale Aktivitäten und bewusste Vorstellungen identisch. An diesem Beispiel zeigt sich übrigens, dass an der Verarbeitung sinnlich aufgenommener Signale der Außenwelt nicht nur das Gehirn, sondern die Ganzheit des Körpers beteiligt ist, einschließlich der Fußspitzen, auf die gerade jemand getreten hat).

 

Seite 48 folgende jongliert Gabriel wieder mit dem Begriff Welt, diesmal unter Einbeziehung des Begriffes Tatsache und sagt, eine Welt ohne Tatsachen gibt es nicht. Unter Tatsache versteht er dabei, ohne dies zu erläutern, eine prädikative Aussage über Dinge. Eine prädikative Aussage ist ein Konstrukt, eine Vorstellung eines oder mehrerer Menschen und für die Kommunikation unter den Menschen sicherlich unverzichtbar. Aber sie ist eben auch nur eine menschliche Vorstellung (wenn auch materiell eine Tätigkeit/Aktion von bestimmten Neuronen). Damit gibt Gabriel dem Begriff Welt einen bestimmten Gehalt, nämlich bestehend aus Dingen und Tatsachen (oder auch nur Tatsachen). Er reduziert damit seine Philosophie schlicht auf Philologie.

 

Das Gleiche gilt ab Seite 50 für den Begriff Gegenstandsbereich, der ebenfalls nur ein Konstrukt ist und damit auf der gleichen Ebene liegt wie meine Lieblingsvorstellung, dass auf dem nächsten Meteoriten der Teufel sitzt, der alle Dualisten kassiert.

 

Seite 56 folgende kritisiert Gabriel Auffassungen, die er als Konstruktivismus bezeichnet. Er wendet sich dagegen, dass dieser Konstruktivismus unterstellt, dass wir keine Fakten an sich feststellen können, sondern alle Fakten oder Tatsachen selbst konstruiert haben. Wenn ich das richtig verstehe und dabei von dem Begriff an sich bei Kant ausgehe, verwechselt Gabriel die subjektive Erscheinung des Dinges (an sich) mit der Erzeugung von Tatsachen. Ich bleibe jedenfalls bei meiner Auffassung, dass der Mensch aufgrund seiner beschränkten Erkenntnisfähigkeit nicht in der Lage ist, das Ding an sich, also die Ganzheit des Dinges hinter einer Erscheinung, zu erkennen. Und dieses Ding an sich, das ein Baum oder ein Stern oder ein anderer Mensch sein kann, zur Begründung der Ablehnung des Konstruktivismus auf Strings zu reduzieren und dabei gleich auch noch die Ergebnisse der Neurologie über den Haufen zu werfen (Seite 60), ist nach meiner Ansicht schlicht unseriös. Gabriel verhält sich ebenso wie wohl fast alle Dualisten: er schafft sich einen Popanz, den es sonst nicht gibt und auf den er dann eindrischt.

 

Seite 74 sagt Gabriel Ich bin alle meine Eigenschaften. Dieser Satz ist gut, weil daraus im Umkehrschluss entnommen werden kann, dass er auf seine Eigenschaften beschränkt ist. Mithin kann er über Entitäten, die er aufgrund seiner beschränkten Eigenschaften nicht erkennen kann, auch nichts sagen, mithin auch nichts darüber, ob es einen Gegenstand gibt, der alle möglichen Eigenschaften hat, sein Supergegenstand. Gabriel macht denselben Fehler, wie die auf die Physik beschränkten Materialisten, indem er seinen Horizont absolut setzt. Ich will damit nicht behaupten, dass es Entitäten außerhalb des durch die Möglichkeit menschlicher Erkenntnis gesteckten Bereiches gibt (oder nicht gibt); aber mit Kant bleibt diese Möglichkeit für den Glauben an Gott (oder einen Supergegenstand) offen.

 

Uneingeschränkt folge ich dem Satz, der Gedanke an Schnee und Schnee gehörten schlicht zwei verschiedenen Gegenstandsbereichen an (Seite 81). Allerdings nicht in dem Sinne, dass es sich um gleichwertige Gegenstandsbereiche handelt. Der Gedanke an Schnee ist ein menschliches Konstrukt, ebenso wie die Erscheinung, die vom Menschen mit dem Begriff Schnee bezeichnet wird, der Schnee an sich ist real.

 

Ein schönes Beispiel für den Begriff als menschliches Konstrukt gibt Gabriel Seite 86 mit dem Hinweis darauf, dass die Materie, aus welcher der Rhein heute besteht, regelmäßig ausgewechselt wird. Daraus folgt doch, dass der Gegenstand des Begriffes Rhein in der Realität  nicht vorkommt. Diese ontologische Unterscheidung zwischen dem real vorkommenden Ding und dem Ergebnis unserer Anschauung dieses Dinges wird auch in den nachfolgenden Ausführungen (Seite 87 folgende) – nach meiner Auffassung zu Unrecht – nicht berücksichtigt. Die dort angesprochene Erscheinung in einem Sinnfeld entspricht nach meinem Verständnis dem Begriff Erscheinung bei Kant in Verbindung mit einem Sinnzusammenhang. Da Gabriel diese Erscheinung in einem Sinnfeld über den Begriff Existenz mit dem Vorkommen in der Welt verbindet, umfasst dieser Begriff Vorkommen offenbar sowohl Konstrukte (Vorstellungen) als auch die Dinge der realen Wirklichkeit, also das Ding an sich im Sinne von Kant.

 

Uneingeschränkt folge ich hier darin, dass die moderne Logik Existenz mit Zählbarkeit verwechselt (Seite 89); zu ergänzen ist aus meiner Sicht, dass dem in Form der analytischen Philosophie auch viele Philosophen zum Opfer gefallen sind

 

Seite 96 folgende erläutert Gabriel dann im einzelnen entsprechend dem Titel des Buches, warum es die Welt nicht gibt

 

Sein zentraler Begriff ist dabei das Sinnfeld bzw. die Erscheinung in einem Sinnfeld. Diesen Gedanken finde ich sehr gut, allerdings nur dann, wenn er sich auf den Begriff Erscheinung im Sinne von Kant bezieht, also als bewusste Wahrnehmung durch die Sinne aufgenommener Daten. Dann wird nämlich deutlich, dass eine Bezeichnung bzw. ein Begriff für ein real an sich vorhandenes Objekt keine eindeutig abgegrenzte Vorstellung ist, sondern in dem Feld eines Sinnzusammenhangs steht.

 

Auch die nachfolgende Begründung des Titels ist für mich nicht überzeugend. Es bleibt vor allem offen, was Gabriel mit dem Wort gibt meint. Versteht man darunter nach dem allgemeinen Sprachgebrauch, dass der Gegenstand, wenn es ihn gibt, in der realen Wirklichkeit vorhanden sein muss, dann fällt der Titel schlicht in sich zusammen. Dann gibt es nämlich die Welt auch ohne Sinnzusammenhang in der Erscheinung. Auch wenn man mit Kant davon ausgeht, dass der Mensch die Welt als Ding an sich nicht erkennen kann, gibt es die Welt, nämlich

 

– als gedankliches Konstrukt, als Begriff und

 

– mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in der realen Wirklichkeit aufgrund der physikalischen Erkenntnisse

 

Ähnlich ist der selbsternannte Hauptsatz der negativen Ontologie, nämlich der Satz Existenz = Erscheinung in einem Sinnfeld zu beurteilen. Nach allgemeinem Sprachgebrauch ist Existenz das Vorhandensein in der realen Wirklichkeit (weil der allgemeine Sprachgebrauch nicht zwischen dem Ding an sich und seiner Erscheinung bzw. Erscheinung ohne ein Sinnfeld unterscheidet). Gabriel ist allerdings zuzugeben, dass der Begriff Existenz in der Bewusstseinsphilosophie und anderen Philosophiezweigen nicht entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch verwendet wird.

 

Interessant sind folgende Sätze (Seite 108):

 

Die Welt ist sozusagen unendlich häufig in sich selbst hinein kopiert, sie besteht aus lauter kleinen Welten, die wiederum aus lauter kleinen Welten bestehen.

Wir erkennen deswegen immer nur Ausschnitte des Unendlichen. Ein Überblick über das Ganze ist unmöglich, weil das Ganze nicht einmal existiert.

 

Das entspricht meinem – natürlich nicht nur meinem – Gedanken, dass der Mensch nur analytisch erkennen kann, mithin nie das Ding an sich in seiner Ganzheit.

 

Unrichtig ist allerdings die Behauptung, das Ganze existiere nicht einmal (..weil das Ganze nicht einmal existiert). Auf Seite 117 führt Gabriel nämlich aus: denn auch Einbildungen existieren, und vieles existiert nur in Einbildungen. Da ich mir ohne weiteres das Ganze einbilden kann und da es eine Unzahl von Philosophen in der Gegenwart und der Vergangenheit gibt, die das getan haben, existiert das Ganze, jedenfalls nach der zitierten Aussage von Gabriel.

 

Ebenso wenig überzeugend ist die Verneinung eines allumfassenden Sinnfeldes Seite 117; Gabriel führt dort aus: Existenzaussagen .. beziehen sich immer nur auf ein Sinnfeld oder einige Sinnfelder, niemals aber auf alle und am allerwenigsten auf ein allumfassendes Sinnfeld.

 

Zu dem Begriff Sinnfeld befindet sich auf Seite 113 eine Erläuterung: Sinnfelder werden durch die Gegenstände bestimmt, die in ihnen erscheinen. Die  Sinnfelder und ihre Gegenstände gehören zusammen. Die Gegenstände sind mit dem Sinn der Sinnfelder eng verbunden. Da auch Einbildungen – nicht nur existieren sondern auch – erscheinen, gehören sie zu den Sinnfeldern. Mithin kann sich eine Existenzaussage als Erscheinung auch auf ein allumfassendes Sinnfeld beziehen.

 

Innen und Außenwelt, Seite 118ff

 

Der für mich entscheidende, da an Kant anknüpfende Satz lautet (Seite 125): Es ist unbestreitbar, dass wir die Welt vom Standpunkt eines Menschen sehen, wie Kant gesagt hat. Doch bedeutet dies nicht, dass wir sie damit nicht erkennen, wie sie an sich ist. Wir erkennen eben vom Standpunkt eines Menschen, wie die Welt an sich ist. Das besagt, dass Gabriel die von Kant verwendeten Begriffe Erscheinung und Ding an sich gleichsetzt. Gabriel unterlegt mithin dem Begriff an sich etwas anderes, als Kant. Dem kann ich aus den oben schon dargelegten Gründen nicht folgen, weil ich aufgrund meiner auf analytisches Erkennen beschränkten Erkenntnisfähigkeit nur immer einen Ausschnitt der realen Wirklichkeit erkenne und mich deshalb an das Ding an sich nur gedanklich, durch Bildung von Begriffen, nähern kann. Ich will Gabriel darin folgen und dabei auch seinen Begriff Sinnfeld verwenden, dass es für unsere Einsicht in die Welt nur Sinnfelder gibt; das ist aber letztlich nichts anderes, als im Sinne von Kant (Prologomena Rdn. 291) das Ergebnis der Tätigkeit des Verstandes, dem es allein zukommt, aus der Erscheinung ein objektives Urteil zu fällen. Ich folge Gabriel auch darin, dass sich die Philosophie mit diesen Sinnfeldern befasst, wobei allerdings nicht vergessen werden sollte, dass die vorsokratische Naturphilosophie die reale Wirklichkeit erkennen wollte. Erst durch Platon ist das Gedankengebäude der Philosophen (und dann auch die Glaubensinhalte der Theologen) als Realität begründet und in die Philosophie eingeführt worden und daraus sind zwei Konsequenzen zu ziehen:

 

– diese philosophischen Gedankengebäude können von der realen Wirklichkeit völlig abheben und

 

– sie mischen ihre mehr oder weniger kreativen Gedanken sowie die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Natur bunt durcheinander und genau das wollte Kant mit seiner kritischen Philosophie zumindest eindämmen.

 

Und ich sehe auch nicht ein, warum Gabriel den Unterschied von Innen- und Außenwelt ablehnt. Wenn ich, wie das hier geschieht, für mich eigene Gedanken entwickle und Träume habe, dann ist das meine Innenwelt und für die Neurologen oder Psychologen, die dann in meinem Gehirn herumkramen, eine Außenwelt.

 

Das naturwissenschaftliche Bild, Seite 127 ff

 

Die für mich hier entscheidende Passage lautet (Seite 131). Aus der Sinnfeldontologie folgt nämlich, dass es keine fundamentale Schicht der Wirklichkeit – die Welt an sich – geben kann, die sich unseren Registraturen immer nur verzerrt darstellt. Der Scientismus, also die These, dass die Naturwissenschaften die fundamentale Schicht der Wirklichkeit, eben die Welt an sich, erkennen, während alle anderen Erkenntnisansprüche immer auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse reduzierbar sein werden oder sich jedenfalls an diesen messen lassen müssen, ist schlichtweg falsch. Dazu folgende Anmerkungen:

 

a) Der erste Satz enthält einen Schluss aus der von Gabriel erfundenen Sinnfeldontologie. Sinnfelder sind Bereiche, in denen etwas, bestimmte Gegenstände, auf eine bestimmte Art erscheinen (Seite 91). Erscheinen ist hier, anders als bei Kant, nicht nur das Ergebnis der menschlichen Wahrnehmung; das ergibt sich aus dem Satz Die Dinge und Gegenstände erscheinen nicht nur, weil sie uns erscheinen, sie existieren nicht nur, weil uns dies aufgefallen ist (Seite 92; ebenso Seite 222, dort spricht Gabriel von einem objektiven Sinn). Diese negative Erläuterung ist nach meiner Auffassung unbrauchbar, da offen bleibt, was nun positiv unter Erscheinen zu verstehen ist. Das darzulegen wäre vor allem deshalb erforderlich gewesen, weil nach allgemeinem Sprachgebrauch Erscheinen das Ergebnis der menschlichen Wahrnehmung ist. In diesem Sinne verstehe ich auch die Ausführungen Seite 154, 155, weil sich Gabriel dort auf das Sehen seiner linken Hand bezieht. Ich sehe es als ein Manko an, dass Gabriel den zentralen Begriff Erscheinen nicht eindeutig erklärt.

 

b) Ich folge Gabriel darin, dass die Naturwissenschaft nicht die Welt an sich erkennen kann. Dies zeigt schlicht der Umstand, dass die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse im Laufe der Jahrtausende immer neue waren und dass dabei vorangegangene Erkenntnisse als falsch erwiesen wurden. Und das ist gerade in diesen Tagen, in denen für das Higgs der Nobelpreis vergeben wird, aber jedermann sagt, dass die dunkle Energie und die dunkle Materie noch völlig unerforscht sind, offensichtlich. Die Naturwissenschaft kann sich nach meiner Auffassung dem Ding an sich nähern, es aber wahrscheinlich nie vollständig erkennen. Denn die naturwissenschaftliche Erkenntnis ist, wie die gesamte menschliche Erkenntnis, analytisch, so dass es den Menschen nur möglich ist, das Ding an sich durch Kombination von einzelnen Erkenntnissen als Begriff gedanklich zu konstruieren.

 

c) Was meint Gabriel mit alle anderen Erkenntnisansprüche ? Da die naturwissenschaftlichen Erkenntnisansprüche durch das Wort anderen ausgeschlossen werden, müsste sich der zweite Satz auf Erkenntnisse im Bereich der menschlichen Gedankenkonstrukte beziehen. Dann stellt sich die Frage, was Gabriel mit auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse reduzierbar meint. Bezieht sich dies auf das Gedankenkonstrukt selbst, stimme ich Gabriel zu. Bezieht sich der Satz auf die materielle Basis des Erkenntnisanspruchs, nämlich die Neuronen, kann dem nicht zugestimmt werden. Oder kann Gabriel irgendwo menschliche Gedanken finden, die nicht im Gehirn stattfinden ?

 

 

Naturalismus (Seite 134 ff)

 

Nach meiner Auffassung kann der philosophische Naturalismus außerphysikalische Entitäten nicht ausschließen; eine solche Auffassung wäre schlicht Arroganz. Insoweit folge ich Gabriel. Nicht folgen kann ich ihm darin, dass Staaten übernatürliche Gegenstände sind und deshalb nicht gegen Naturgesetze verstoßen können (Seite 139). Zu einem Staat gehören Menschen und sie können selbstverständlich Gegenstand naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sein, und zwar auch in ihrem kommunikativen Verhalten, so dass insoweit auch die Soziologie eine Naturwissenschaft ist. Hier zeigt sich, dass Gabriel naturwissenschaftliche Erkenntnisse und gedankliche Konstrukte hübsch durcheinander wirft und so eine Sauce übernatürlicher Gegenstände kocht.

 

Das gilt gleichermaßen für das nachfolgende Kapitel.

 

Monismus (Seite 139 ff).

 

Soweit sich Gabriel gegen den materialistischen Monismus und dessen Anspruch eines allein verbindlichen Weltbildes wendet, stimme ich ihm zu (wobei allerdings Differenzierungen erforderlich sind). Das ergibt sich für mich aus der schon mehrfach genannten Beschränkung der Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Außerhalb dieser Erkenntnisfähigkeit ist für den Menschen eine Aussage nicht möglich, weder positiv noch negativ. Nahezu albern erscheinen mir aber die Ausführungen, es habe die Elementarteilchen, aus denen er, Gabriel, zusammengesetzt ist, schon vorher, wenn auch in anderen Zusammensetzungen, gegeben. Mit der Formulierung nur in anderen Zusammensetzungen widerlegt er sich selbst. Und völlig unberücksichtigt bleibt, dass durch die menschliche Kreativität, also den im Hirn erzeugten emergenten Figurationen von Neuronen und die darauf beruhenden menschlichen Vorstellungen, Erkenntnisse und Handlungen ständig etwas Neues entsteht.

 

 

Seite 145 ff

 

Gabriel verteidigt in dem Kapitel unter der Überschrift „Das Buch der Welt“ den von ihm propagierten neuen Realismus gegen den von ihm schon zuvor abgelehnten Konstruktivismus. Seine ein wenig grobe argumentative Keule lautet (Seite 152): Wenn die Welt oder die Außenwelt nur eine Konstruktion aus Sinnesdaten ist, ist auch diese These nur eine Konstruktion aus Sinnesdaten. Ich halte das nicht für ein Argument, sondern wieder für reine Sophisterei. Gabriel verkennt, dass die „Konstruktion“ etwas Neues schafft, nämlich – an Neuronen gebundene – Vorstellungen, Begriffe und Thesen, die über den Sinnesdaten stehen und deshalb auch Maßstab für die Beurteilung von neuen Sinnesdaten sein können. Es ist ja gerade das typische des Menschen, dass er durch Kommunikation neben Sinnesdaten andere Daten aufnimmt, verarbeitet und daraus Vorstellungen und Thesen entwickelt.

 

Für mich wichtig ist dann aber der Satz Der neue Realismus behauptet vor diesem Hintergrund, dass jede wahre Erkenntnis Erkenntnis eines Dinges an sich (oder einer Tatsache an sich) ist (Seite 155). Begründet wird dieser Satz im Anschluss an die Feststellung, dass ich meine Hand von verschiedenen Standpunkten aus betrachten kann, damit, dass die Dinge an sich auf verschiedene Weisen erscheinen und dass diese Erscheinungen selbst Dinge an sich sind. Der Begriff Erscheinung wird hier offensichtlich, nämlich durch die Bezugnahme auf das Betrachten der Hand, als Ergebnis einer sinnlichen Wahrnehmung verstanden. Das Argument bezieht sich also auf die Reflexion des Ich auf seine eigene Wahrnehmung (und damit auf die von Gabriel anderweit zu Unrecht abgelehnte Innenwelt). Dass in diesem innersubjektiven Bereich das Ergebnis der Wahrnehmung, die Erscheinung, innersubjektiv ein Ding an sich ist, will ich akzeptieren. Ein Argument dafür, dass der Mensch nach außen das Ding an sich wahrnehmen kann, ergibt sich daraus aber nicht. Dementsprechend nicht plausibel ist auch der zitierte Satz.

 

Und zur erneuten Kritik an Kant Seite 156: ich stimme Gabriel zu, dass die Auffassung von Kant, Raum und Zeit seien ausschließlich Elemente der Anschauung, nicht belegbar ist. Ein Fragezeichen ist aber angebracht, weil wir inzwischen wissen, dass Raum und Zeit relativ verstanden werden müssen. Die Auffassung von Kant als absurd zu bezeichnen, halte ich für unpassend. Und geht man mit neueren physikalischen Theorien davon aus, dass Raum und Zeit erst bei der Entstehung des Universums aus Energie entstanden sind und damit in einem weiteren Sinne materiale Qualität haben, sind sie als Erkenntnisformen des Menschen durchaus verständlich.

 

Mehrfach behauptet Gabriel, dass wir nicht von außen auf die Welt blicken (zum Beispiel Seite 164). Das ist natürlich richtig, übergeht aber, dass wir in der Lage sind, uns in der Vorstellung außerhalb der Welt zu setzen. Ob das Ergebnis unserer Betrachtung dann richtig ist, weil wir doch Teil der Welt sind, ist eine andere Frage. Auch hier vermischt Gabriel meines Erachtens naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit gedanklich entwickelten Vorstellungen. Das führt zurück zu dem Titel des Buches und meine Frage, was Gabriel mit dem Wort gibt meint.

 

Der Satz Die Tatsache, dass alles konstruiert ist, erzwingt an irgend einem Punkt eine konstruierte Tatsache (Seite 167) ist überzeugend. Daraus ergibt sich aber nicht, dass wir die unkonstruierte Tatsache erkennen können. Wir können uns ihr allerdings naturwissenschaftlich nähern und der Umstand, dass es möglich war, eine Mondrakete zu konstruieren, zum Mond zu senden und wieder zurückkommen zu lassen, zeigt dies eindeutig. Ein Großteil der Argumentationen von Gabriel besteht meines Erachtens darin, das Kind mit dem Bad auszuschütten, um einen großen Effekt zu erzielen. Wenn wir ganz bescheiden das Ding an sich, also im Sinne von Gabriel die Faktizität hinnehmen und darauf unsere gedanklichen Vorstellungen aufbauen, erledigen sich doch wohl die meisten Probleme, die Gabriel konstruiert. Im kantisch-kritischen Sinne ist es aber zwingend, die reale Wirklichkeit einerseits (das Ding an sich) und die Gegenstände gedanklicher Interpretationen und Systeme (die Erscheinungen) andererseits und damit die naturwissenschaftlichen Bemühungen einerseits und das Denken andererseits streng zu unterscheiden. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass die naturwissenschaftlichen Bemühungen ohne gedankliche Interpretationen nicht möglich sind; damit wird nur belegt, dass es dem Menschen nicht möglich ist, einen unmittelbaren Zugang zu dem Ding an sich zu finden.

 

Mit der Feststellung, dass naturwissenschaftliche Bemühungen ohne gedankliche Interpretationen nicht möglich sind, halte ich den Satz, es sei wichtig, den Geist wieder zu rehabilitieren (Seite 173) zumindest für überzogen. Kein Naturwissenschaftler wird behaupten, dass der Geist zu verabschieden ist, dass er also geistlos tätig ist. Nach meiner Überzeugung besteht eher das umgekehrte Problem, dass nämlich die Geisteswissenschaften seit Platon und in schöner Eintracht mit ihnen die Theologie versucht, naturwissenschaftliche Erkenntnisse durch eigene Gedankengebäude bzw. Offenbarungen zu negieren. Obgleich, wie schon gesagt, die Philosophie aus der Naturwissenschaft hervorgegangen ist. Allerdings: ein Gedicht von Rilke ist für einen geistvollen Menschen, ganz primitiv ausgedrückt, schöner als ein Higgs.

 

Gabriel meint, der Leser habe in seinem 4. Kapitel gesehen, dass das naturwissenschaftliche Weltbild scheitert (Seite 179). Das ist ebenso überzogen wie zahlreiche seiner Argumente. Richtig ist, dass es unzulässig und arrogant ist, wenn der Naturwissenschaftler Entitäten ausschließt, die er aufgrund der beschränkten Erkenntnisfähigkeit des Menschen nicht erkennen kann. Daraus ergibt sich aber nur, dass das naturwissenschaftliche Weltbild nicht gescheitert, sondern eben beschränkt ist. Ich meine, dass dies, auf die heutigen Erkenntnisse umgesetzt, genau das ist, was Kant sagen wollte. Deshalb ist auch weiterhin Kant darin zu folgen, dass mit seiner kritischen Philosophie der Weg für die Religion frei gemacht wird (nichts anderes sagt nach meinem Verständnis auch Gabriel Seite 213 mit dem Satz Gottes Existenz ist kein Problem der Naturwissenschaften, da Gott selbstverständlich nicht im Universum vorkommt). Es ist also gar nichts gescheitert, selbst die Arroganz mancher Philosophen gehört in dieses System.

 

 

Seite 205

 

Geist ist mehr als Nachdenken, worüber auch immer. Geist ist der Umstand, dass wir uns zu uns selbst als zu einem anderen verhalten, zu einer Person, die wir kennen lernen und manchmal verändern. Wir sind nicht nur Subjekte des Denkens, Nachdenker, sondern vor allem Personen; und Personen verhalten sich zu sich selbst.

 

Was meint Gabriel mit den Worten zu sich selbst .. verhalten? Die Formulierung wird auch von anderen Philosophen des Geistes verwendet, ich kann darin aber keinen Sinn erkennen. Wird das Wort Verhalten nach allgemeinem Sprachgebrauch verstanden, dann ist es verfehlt, weil das Verhalten einer Person ein einheitlicher Vorgang ist und nicht in sich geteilt werden kann. Ich vermute aber, dass er damit, neurologisch gesehen, reflexive Prozesse (Rückkopplungen) von Neuronengruppen auf andere Neuronengruppen und die dabei entstehenden Vorstellungen meint. Dann ist das mehr als Nachdenken die Einbeziehung unbewusster Daten, zum Beispiel bei künstlerischer Tätigkeit, sei dies in der Malerei oder beim Improvisieren in der Musik, weil dann die Produkte des Geistes nicht aus dem Nachdenken kommen, sondern aus gespeicherten Daten, die beim Malen oder musizieren nicht in das Bewusstsein abgerufen werden, so dass ein Nachdenken nicht in Betracht kommt. Dem könnte ich zustimmen.

 

Aus meiner Sicht bemerkenswert ist der Satz (Seite 227) Wir verbinden unsere Gedanken immer erst nachträglich und ordnen auf diese Weise unseren jeweiligen Überzeugungshaushalt. Er steht im Zusammenhang mit dem vorangehenden Satz Der Gedanke, dass es regnet, wird uns vielmehr vom Regen gleichsam abgerungen . Schließt sich Gabriel damit den neurobiologischen Erkenntnissen von Libeth an ? Danach werden Handlungen nicht vom Bewusstsein gesteuert, das Bewusstsein registriert vielmehr eine Handlung – nach Millisekunden – nachträglich. Und räumt damit Gabriel indirekt ein, dass der Mensch den Regen nicht an sich, sondern erst mit einem Gedanken, also nach neuronaler Verarbeitung wahrnimmt ? Zumindest: in welchem Verhältnis steht der Regen in der realen Wirklichkeit, nach den meisten Ausführungen von Gabriel eine Erscheinung, zu dem Gedanken als Erscheinung ?

 

In dem letzten Kapitel, „Die Sinne… und der Sinn des Lebens“ (Seite 248 ff) wendet sich Gabriel gegen die antike griechische Philosophie, insbesondere Aristoteles, nach der das Denken den Sinnen entgegen steht. Er schließt sich offenbar antiken indischen Philosophen an, nach denen das Denken oder der Geist als Sinn neben anderen Sinnen gedeutet wird. Dem kann ich als naiver Nicht-Philosoph nicht folgen, weil das Denken, und das zeigt die Entwicklung des Kindes, Sehen Hören Fühlen usw. voraussetzt; das Denken ist deshalb sowohl biologisch als auch ontologisch etwas anderes als das Sehen usw. allerdings sind Denken einerseits

 

Vermutlich um diesen Einwand auszuräumen verneint Gabriel, dass die Sinne subjektiv sind und ordnet sie, und zwar unter Bezugnahme auf seine Sinnfeldontologie, objektiven Strukturen zu. Unsere Sinne sind aber gar nicht in unserem Kopf, wie Hilary Putman einmal über die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke geschrieben hat (Seite 252). Ich habe nicht nachgeprüft, was Putmann damit meinte, aber wenn tatsächlich unsere Sinne nicht in unserem Kopf sind, können wir armen Subjekte auch nicht hören, sehen usw.

 

Nach meiner Auffassung sind diese Ausführungen Gabriels ein krampfhafter Versuch, von der sinnlichen Wahrnehmung zu seiner Sinnfeld-Ontologie zu gelangen. Ich könnte Gabriel darin folgen, dass das Denken bzw. das Bewusstsein ein weiterer Sinn ist, der sich in der Entwicklung des Menschen im Zusammenhang mit der sprachlichen Kommunikation gebildet hat. Die Sinne und das Denken aus dem Kopf heraus zu nehmen, halte ich aber für absurd.

 

Gabriels Sinnfeldontologie ist sicher ein hübsches Gedankenspiel, aber sie bleibt nach meiner Auffassung in Widersprüchen stecken, weil nach Gabriel seine Sinnfelder auch außerhalb des menschlichen Bewusstseins vorliegen, der Sinn als Inhalt der Frage nach dem Sinn des Lebens jedoch menschliche Subjektivität voraussetzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

    

 

Rechtsanwalt Kurt-Dietrich Rathke

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